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Pressemitteilungen » Pressemitteilungen aus dem Monat Dezember 2000 » Pressemitteilung Nr. 96/00 vom 14.12.2000

Siehe auch:  Beschluss des III. Zivilsenats vom 30.11.2000 - III ZB 46/00 -

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Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 96/2000

 

Bundesgerichtshof äußert sich zur Frage der

Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern

 

Der für Dienstvertragsrecht zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Rahmen der Entscheidung über eine außerordentliche Beschwerde zu der Frage Stellung genommen, ob ehemalige Zwangsarbeiter von den Firmen, für die sie ihre Arbeitsleistung erbracht haben, eine Entschädigung verlangen können.

Die in der Ukraine geborene und auch heute dort lebende Klägerin wurde im Jahre 1942 in einem Sammeltransport aus ihrer Heimat nach Deutschland verbracht. Dort arbeitete sie in einem Betrieb der Beklagten bis zum Kriegsende 1945. Die Klägerin verlangt von der Beklagten für die von ihr 36 Monate lang geleistete Zwangsarbeit eine angemessene Vergütung in Höhe von ca. 40.000 DM sowie eine pauschale Entschädigung in Höhe von 6.000 DM wegen der Umstände der Unterbringung in einem umzäunten Lager und der schlechten Verpflegung.

Das Landgericht München I hat der Klägerin die beantragte Prozeßkostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht der Klage versagt. Die Beschwerde der Klägerin wurde durch das Oberlandesgericht München zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof hatte nunmehr über die außerordentliche Beschwerde der Klägerin zu entscheiden.

Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung maßgeblich auf § 16 des am 12. August 2000 in Kraft getretenen Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (Stiftungsgesetz) vom 2. August 2000 (BGBl. I S. 1263) gestützt.

Die Klägerin, die aus ihrer Heimat in das Deutsche Reich deportiert und dort zu einem Arbeitseinsatz in einem gewerblichen Unternehmen gezwungen wurde, gehört zu den Personen, die Leistungen nach dem Stiftungsgesetz beanspruchen können (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes). Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes können Leistungsberechtigte im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht keine weitergehenden Ansprüche (mehr) geltend machen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, das ausweislich der amtlichen Begründung auch und gerade dem Anliegen deutscher Unternehmen, umfassenden und dauerhaften Rechtsfrieden innerhalb und außerhalb Deutschlands zu erhalten, Rechnung tragen will, stehen der Klägerin Forderungen gegen das Unternehmen, das sie in den Kriegsjahren als Zwangsarbeiterin beschäftigt hat, nicht zu.

Angesichts dieser klaren Gesetzeslage fehlt nach Auffassung des III. Zivilsenats jeglicher Anhaltspunkt dafür, daß die auf den in § 16 des Stiftungsgesetzes normierten Anspruchsausschluß abstellende Entscheidung des Oberlandesgerichts "greifbar gesetzeswidrig", d.h. mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar sein könnte. Weil diese Voraussetzungen aber hätten erfüllt sein müssen, damit die Klägerin mit Erfolg die Entscheidung des Oberlandesgerichts mit einer im Gesetz nicht vorgesehenen (daher außerordentlichen) Beschwerde hätte zu Fall bringen können, hat der Bundesgerichtshof die Beschwerde als unzulässig verworfen.

In seiner Begründung ist der Bundesgerichtshof auch auf die Frage der - von der Klägerin in Abrede gestellten - Verfassungsmäßigkeit des Stiftungsgesetzes eingegangen. Hierzu hat er ausgeführt: Der Gesetzgeber hat den in § 16 Abs. 1 des Stiftungsgesetzes enthaltenen Anspruchsausschluß unter dem Aspekt des Art. 14 GG geprüft. Er ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, daß die von ihm gefundene Lösung verfassungsrechtlich unbedenklich sei, weil an die Stelle vermeintlicher Ansprüche gegen vielerorts nicht mehr existierende Anspruchsgegner eine angemessen ausgestattete Stiftung trete, die auch denjenigen ehemaligen Zwangsarbeitern offenstehe, deren früherer "Arbeitgeber" nicht mehr haftbar gemacht werden könne und auch nicht zu den Stiftungsunternehmen gehöre. Des weiteren hat der Gesetzgeber in seine Überlegungen den Umstand mit einbezogen, daß die Wiedergutmachungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland einen Entschädigungsanspruch wegen Zwangsarbeit nicht vorsehen, und außerdem berücksichtigt, daß bislang keine rechtskräftige Gerichtsentscheidung bekannt geworden sei, die einen gegen ein Unternehmen gerichteten Entschädigungsanspruch eines ehemaligen Zwangsarbeiters für begründet erachtet habe.

Der III. Zivilsenat vermochte schon nicht zu erkennen, daß diese Einschätzung der Verfassungslage durch den Gesetzgeber so verfehlt sein könnte, daß deshalb eine Vorlage nach § 100 Abs. 1 GG zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit des § 16 Abs. 1 des Stiftungsgesetzes in Betracht zu ziehen wäre. Jedenfalls könne keine Rede davon sein, daß die Ausschlußnorm des § 16 Abs. 1 des Stiftungsgesetzes so evident verfassungswidrig sei, daß in der Anwendung dieses Gesetzes durch die Gerichte eine greifbare Gesetzwidrigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gesehen werden könnte.

Beschluß vom 30. November 2000 - III ZB 46/00

Karlsruhe, den 14. Dezember 2000

Pressestelle des Bundesgerichtshofs

76125 Karlsruhe

Telefon (0721) 159-422

Telefax (0721) 159-831

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