Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 37/2002

 

Bundesgerichtshof zum Widerrufsrecht bei Realkreditverträgen

Der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, daß das Widerrufsrecht des § 1 Abs. 1 Haustürwiderrufsgesetz auch Verbrauchern zusteht, die einen Realkreditvertrag im Sinne des Verbraucherkreditgesetzes geschlossen haben, der zugleich die Voraussetzungen eines Haustürgeschäfts erfüllt.

Die Kläger verlangen von der beklagten Bank die Rückabwicklung eines Grundpfandkreditvertrages, den sie im Jahre 1993 zur Finanzierung des Kaufpreises einer Eigentumswohnung abgeschlossen haben. Sie haben behauptet, ein auch für die Beklagte tätiger Immobilienmakler habe sie mehrfach zu Hause aufgesucht und zum Wohnungskauf sowie zur Darlehensaufnahme überredet. Ihre Darlehensvertragserklärung haben sie deshalb nach § 1 Abs. 1 Haustürwiderrufsgesetz widerrufen. Ihre Klage blieb in den Vorinstanzen mit der Begründung ohne Erfolg, die Vorschriften des Haustürwiderrufsgesetzes seien gemäß § 5 Abs. 2 Haustürwiderrufsgesetz durch das Verbraucherkreditgesetz verdrängt.

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluß vom 29. November 1999 im Hinblick auf § 5 Abs. 2 Haustürwiderrufsgesetz, der besagt, daß § 1 Abs. 1 Haustürwiderrufsgesetz nicht anzuwenden ist, wenn zugleich die Voraussetzungen eines Geschäfts nach dem Verbraucherkreditgesetz erfüllt sind, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof gerichtet. Dieser hat die gestellten Fragen mit Urteil vom 13. Dezember 2001 (C-481/99) dahin beantwortet, daß die Haustürgeschäfterichtlinie neben der Verbraucherkreditrichtlinie anwendbar ist, auch Realkreditverträge erfaßt und das vorgeschriebene Widerrufsrecht - anders als im deutschen Verbraucherkreditgesetz und bislang im neuen Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vorgesehen - nicht befristet ist, falls keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilt wurde.

Im Hinblick auf das Ergebnis des Vorabentscheidungsersuchens hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil jetzt aufgehoben und hierzu ausgeführt:

Die für die nationalen Gerichte bindende Auslegung der Haustürgeschäfterichtlinie durch den Europäischen Gerichtshof gebiete es in Verbindung mit dem Gebot richtlinienkonformer Auslegung, das Haustürwiderrufsgesetz, soweit dieses einen Beurteilungsspielraum eröffne, dahin auszulegen, daß dem Verbraucher ein der Richtlinie entsprechendes Widerrufsrecht zustehe. § 5 Abs. 2 Haustürwiderrufsgesetz sei deshalb richtlinienkonform einschränkend auszulegen. Die dort enthaltene Subsidiaritätsklausel greife danach nur in Fällen, in denen das Verbraucherkreditgesetz dem Verbraucher ebenfalls ein Widerrufsrecht gewähre. Bestehe - wie im zur Entscheidung stehenden Fall - nach dem Verbraucherkreditgesetz kein Widerrufsrecht, so bleibe es bei der Widerrufsmöglichkeit aus § 1 Abs. 1 Haustürwiderrufsgesetz. Das nationale Recht eröffne in § 5 Abs. 2 Haustürwiderrufsgesetz einen entsprechenden Beurteilungsspielraum, da der Wortlaut dieser Norm nicht eindeutig und seit jeher auch unterschiedlich interpretiert worden sei. Der Wille des Gesetzgebers und Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes stünden der richtlinienkonformen Auslegung ebenfalls nicht entgegen.

Sie erstrecke sich auf alle § 1 Abs. 1 Haustürwiderrufsgesetz unterfallenden Sachverhalte. Da das Haustürwiderrufsgesetz eine Gleichstellung der entsprechenden Willenserklärungen vorsehe, komme es nicht darauf an, ob die Haustürsituation bei Abschluß des Kreditvertrags selbst oder nur bei Vertragsanbahnung vorgelegen habe.

Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit dieses Feststellungen zu der zwischen den Parteien streitigen Frage treffen kann, ob die Voraussetzungen eines Haustürgeschäfts vorliegen. Für den Fall, daß danach ein Widerrufsrecht zu bejahen sein sollte, hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, daß ein wirksamer Widerruf des Kreditvertrags nicht ohne weiteres auch die Möglichkeit einer Rückabwicklung des Kaufvertrags zur Folge hat.

Urteil vom 09. April 2002 - XI ZR 91/99

Karlsruhe, den 09. April 2002

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