Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 207/2021

Verhandlungstermin am 16. Dezember 2021, 9.00 Uhr, Saal E 101, in Sachen VII ZR 256/21 und VII ZR 389/21 ("Dieselverfahren":

AUDI AG, EA 896/897, verbrieftes Rückgaberecht)

Der unter anderem für Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen, die den Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben, zuständige VII. Zivilsenat hat in zwei gleichzeitig zur mündlichen Verhandlung anstehenden Sachen über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Einbau von Motoren des Typs EA 896 oder EA 897 in ein von der AUDI AG bzw. von der Volkswagen AG hergestelltes Fahrzeug zu entscheiden.

Sachverhalt:

In den beiden Verfahren nehmen die jeweiligen Kläger die beklagte Motorherstellerin - die AUDI AG - auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

Der Kläger im Verfahren VII ZR 256/21 erwarb im November 2015 einen von der - in dieser Sache gemeinsam mit der AUDI AG in Anspruch genommenen - Volkswagen AG hergestellten Pkw VW Touareg 3.0 TDI (Euro 6) als Gebrauchtwagen zum Preis von 65.090 €. Der Kläger im Verfahren VII ZR 389/21 erwarb im Februar 2017 einen von der AUDI AG hergestellten Pkw Audi A6 Avant 3.0 TDI (Euro 6) als Gebrauchtwagen zum Preis von 46.800 €. Die beiden Fahrzeuge sind jeweils mit einem von der AUDI AG hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 896 G2 oder EA 897 ausgestattet.

Der jeweilige Kaufpreis wurde (teil-)finanziert über ein Darlehen der Volkswagen Bank bzw. der AUDI Bank. Die Darlehensverträge verbrieften ein Rückgaberecht des jeweiligen Klägers dergestalt, dass er das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Schlussrate an die Verkäuferin zu einem bereits festgelegten Kaufpreis zurückübertragen können sollte. Beide Kläger haben davon keinen Gebrauch gemacht.

Das Fahrzeug im Verfahren VII ZR 256/21 unterlag einem am 8. Dezember 2017 erlassenen verpflichtenden Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Das Fahrzeug im Verfahren VII ZR 389/21 unterlag einem am 12. Dezember 2018 erlassenen verpflichtenden Rückruf durch das KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems.

Bisheriger Prozessverlauf:

Die in der Hauptsache jeweils auf Erstattung des Kaufpreises und der Finanzierungskosten - im Verfahren VII ZR 389/21 unter Abzug einer Nutzungsentschädigung - Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtete Klage hatte im Verfahren VII ZR 256/21 im Wesentlichen Erfolg, im Verfahren VII ZR 389/21 wurde die Klage hingegen abgewiesen.

Das Berufungsgericht im Verfahren VII ZR 256/21 hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Beklagte zu 1 - die AUDI AG - hafte gemäß §§ 826, 31 BGB. Das Gericht sei überzeugt, dass sie den im Fahrzeug des Klägers verbauten Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 versehen habe. Die Beklagte zu 1 habe die Existenz einer Aufheizstrategie selbst eingeräumt. Deren Unzulässigkeit ergebe sich aus dem Bescheid des KBA, in dem die als Strategie "A" bezeichnete Aufheizstrategie ausdrücklich als unzulässig eingeordnet werde. Dieser Bewertung sei die Beklagte zu 1 nicht entgegengetreten, auch müsse wegen der Bestandskraft des Bescheids diese Wertung zugrunde gelegt werden, unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts. Mindestens ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten zu 1, dessen Handeln diese sich gemäß § 31 BGB zurechnen lassen müsse, habe alle Elemente des objektiven und subjektiven Tatbestands des § 826 BGB verwirklicht.

Die Beklagte zu 2 - die Volkswagen AG - habe ebenfalls vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt. Denn auch sie habe potentielle Käufer darüber getäuscht, die Betriebszulassung auf ordnungsgemäßem Weg erlangt zu haben. Dies sei aus den gleichen Gründen wie bei der Beklagten zu 1 als objektiv sittenwidrig zu bewerten. Das Gericht gehe ebenso davon aus, dass ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten zu 2, dessen Handeln sie sich zurechnen lassen müsse, Kenntnis von der Ausstattung des Motors mit der unzulässigen Abschalteinrichtung und der bewussten Täuschung der Genehmigungsbehörden sowie potentieller Käufer gehabt habe, denn die Beklagte zu 2 sei der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen.

Der im Vertragsschluss liegende Schaden werde nicht dadurch kompensiert, dass dem Kläger ein im Rahmen der Finanzierung gewährtes Rückgaberecht zugestanden habe, das er nicht ausgeübt habe. Es könne aus Sicht des Käufers durchaus wirtschaftlich vorteilhaft sein, das betroffene Fahrzeug zu behalten und nach §§ 826, 31 BGB vorzugehen. Es sei nicht ersichtlich, dass die wirtschaftlichen Nachteile des Käufers auch im Rahmen des verbrieften Rückgaberechts voll berücksichtigt würden. Der Kläger müsse sich aber eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen.

Das Berufungsgericht im Verfahren VII ZR 389/21 hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die beklagte AUDI AG sei zwar gegenüber Käufern von Fahrzeugen aus dem VW-Konzern, die mit dem VW-Dieselmotor EA 189 ausgestattet seien, grundsätzlich wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Ein Schaden in Form eines ungewollten Vertragsschlusses könne hier indes nicht mehr angenommen werden, weil der Kläger das ihm im Rahmen der Finanzierung gewährte Rückgaberecht nicht ausgeübt habe. Indem er durch bewusste Ablösung der Restschuld das Fahrzeug während des laufenden Berufungsverfahrens freiwillig übernommen habe, anstatt den Wagen zum Ende der Vertragslaufzeit gegen Erstattung des vertraglich vereinbarten Restwerts an die Händlerin zurückzugeben, habe der Kläger seine Handlungsfreiheit entsprechend ausgeübt. Wähle er nach Vollerwerb des Fahrzeugs den Schadensersatz durch Rückzahlung des Kaufpreises einschließlich der Finanzierungskosten Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, setze er sich zu seinem eigenen vorherigen Verhalten in Widerspruch.

Mit ihrer vom Berufungsgericht jeweils zugelassenen Revision verfolgen im Verfahren VII ZR 256/21 die beiden Beklagten ihre Anträge auf vollständige Klageabweisung weiter; im Verfahren VII ZR 389/21 verfolgt der Kläger weiterhin seine zuletzt gestellten Klageanträge.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 31 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Artikel 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007:

Im Sinne dieser Verordnung und ihrer Durchführungsmaßnahmen bezeichnet der Ausdruck: [...] "Abschalteinrichtung" ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird; [...]

Artikel 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007:

Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:
a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten; [...]

Vorinstanzen:

VII ZR 256/21

Landgericht Trier – Urteil vom 15. November 2019 – 5 O 185/19

Oberlandesgericht Koblenz – Urteil vom 25. Februar 2021 – 2 U 2153/19

und

VII ZR 389/21

Landgericht Hildesheim – Urteil vom 27. November 2019 – 2 O 40/19
Oberlandesgericht Celle – Urteil vom 31. März 2021 – 7 U 27/20 (S.7a)

Karlsruhe, den 10. November 2021

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