Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 69/2004

Bundesgerichtshof zu den Voraussetzungen und den Berechnungsmaßstäben für eine Prämienanpassung durch

den Versicherer in der privaten Krankenversicherung

Der Kläger unterhält seit 1964 für sich und seine Ehefrau als Ergänzung zur gesetzlichen Krankenversicherung bei dem beklagten Versicherer eine Krankheitskostenversicherung für stationäre Heilbehandlung, die wahlärztliche Leistungen und die Unterkunft im Ein- oder Zweibettzimmer umfaßt. Zum 1. Januar 2000 erhöhte der Beklagte mit Zustimmung des Treuhänders die monatlichen Prämien um circa 20%. Der Kläger hält die Prämienerhöhung für unbillig, weil die vom Beklagten behauptete Kostensteigerung nicht eingetreten sei und die Neuberechnung nicht mit den gesetzlichen Vorschriften in Einklang stehe. Er hat Klage auf Feststellung erhoben, den Erhöhungsbetrag von 33,20 DM im Monat nicht zu schulden.

Das Amtsgericht hat die Prämienerhöhung für unwirksam erklärt, weil sie nicht der Billigkeit im Sinne von § 315 Abs. 3 BGB entspreche. Das Landgericht hat die Klage nach ergänzendem Vortrag der Beklagten abgewiesen. Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Landgericht.

Bis 1994 bedurften Prämienanpassungen in der Krankenversicherung der Genehmigung durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen. Im Zuge der europarechtlich vorgegebenen Deregulierung des Versicherungsmarkts ist die Genehmigungspflicht weggefallen und das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) grundlegend geändert worden. Die Krankenversicherung ist erstmals im Versicherungsvertragsgesetz geregelt worden (§§ 178a ff. VVG). Das neue Recht enthält für die nach Art der Lebensversicherung betriebene Krankenversicherung eingehende Bestimmungen über die Prämienkalkulation und die nunmehr von der Zustimmung eines Treuhänders abhängige Prämienanpassung durch den Versicherer. Welche rechtlichen Maßstäbe hierfür gelten, ist umstritten. Insbesondere besteht Streit darüber, ob bei einer Klage des Versicherungsnehmers die Zivilgerichte eine Prämienerhöhung nur darauf zu überprüfen haben, ob sie den dafür maßgeblichen speziellen versicherungsrechtlichen Vorschriften entspricht oder ob die Prämienerhöhung darüber hinausgehend einer allgemeinen zivilrechtlichen Kontrolle auf Billigkeit oder Angemessenheit nach §§ 315, 317, 319 BGB unterliegt.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß rechtlicher Maßstab für die zivilgerichtliche Überprüfung einer Prämienanpassung nur ist, ob sie nach aktuariellen (anerkannten versicherungsmathematischen) Grundsätzen als mit den speziellen dafür bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang stehend anzusehen ist. Diese Vorschriften enthalten für die Prämienkalkulation und die Prämienanpassung strenge Vorgaben, die die Dispositionsfreiheit des Versicherers stark beschränken. Dadurch soll zur Wahrung der Belange der Versicherten und im öffentlichen Interesse gewährleistet werden, daß die Versicherungsprämie in einer Weise kalkuliert wird, die zum einen die dauernde Erfüllbarkeit der vom Versicherer versprochenen Leistungen sicherstellt und zum anderen Prämiensteigerungen nur aus solchen Gründen zuläßt, die vom Versicherer nicht zu beeinflussen sind, etwa Kostensteigerungen im Gesundheitswesen oder ein Ansteigen des durchschnittlichen Lebensalters. Diese klaren rechtlichen Vorgaben konkretisieren damit - auch nach Ansicht des Gesetz- und Verordnungsgebers -, was als angemessene und der Billigkeit entsprechende Prämie anzusehen ist.

Danach ist zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen für das gesetzliche Prämienanpassungsrecht des Versicherers nach § 178g Abs. 2 VVG i.V. mit §§ 12b, 12c VAG und der Kalkulationsverordnung gegeben sind, nämlich die nicht nur vorübergehende Erhöhung des tatsächlichen Schadensbedarfs gegenüber dem der bisherigen Prämie zugrunde liegenden kalkulierten Schadensbedarf um einen bestimmten Prozentsatz. Dabei ist unter anderem zu beachten, daß eine Prämienanpassung nur für den Tarif zulässig ist, in dem die Erhöhung des Schadensbedarfs den maßgeblichen Prozentsatz überschritten hat. Das bedeutet z.B., daß bei geschlechtsabhängig kalkulierten Prämien die Prämie für Frauen nicht erhöht werden darf, wenn der maßgebliche Prozentsatz nur bei den Männern überschritten ist.

Sind die Voraussetzungen für eine Anpassung der Prämie erfüllt, ist zu prüfen, ob die Neuberechnung der Prämie nach aktuariellen Grundsätzen zutreffend oder jedenfalls im Ergebnis nicht zu hoch ausgefallen ist.

Um zu gewährleisten, daß der Versicherer bei der Prämienanpassung und der Treuhänder bei seiner Überprüfung und Zustimmung mit größtmöglicher Sorgfalt vorgehen, sind Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle nur die Unterlagen, die der Versicherer dem Treuhänder zur Überprüfung vorgelegt hat. Aus diesen Unterlagen müssen sich die Voraussetzungen und der Umfang der vorgenommenen Anpassung für den gerichtlichen Sachverständigen nachvollziehbar und in tatsächlicher Hinsicht belegt ergeben. Soweit dies nicht der Fall ist, ist die Prämienerhöhung unwirksam. "Nachbesserungen" durch den Versicherer im Prozeß sind unbeachtlich.

Der Senat hat die Sache an das Landgericht zurückverwiesen, damit die bisher nicht nach diesen Rechtsgrundsätzen vorgenommene Ermittlung und Prüfung des Tatsachenstoffs nachgeholt werden kann.

Urteil vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02

Karlsruhe, den 16. Juni 2004

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