Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 70/2022

Verhandlungstermin am 13. Juni 2022, 13.00 Uhr, in Sachen

VIa ZR 680/21("Dieselverfahren"; Gewährung von Restschadensersatz bei EU-Reimport)

Der vom Präsidium des Bundesgerichtshofs vorübergehend als Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa. Zivilsenat (vgl. Pressemitteilung Nr. 141/2021 vom 22. Juli 2021) wird am 13. Juni 2022 in einer Sache verhandeln, die die Gewährung von Restschadensersatz bei EU-Reimporten in einem Dieselverfahren betrifft.

Sachverhalt:

Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

Er bestellte am 13. August 2014 bei einem deutschen Händler als EU-Reimport einen Neuwagen des Typs VW Tiguan zum Preis von 30.000 €. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 25. Oktober 2014 mit einer EG-Übereinstimmungsbescheinigung und einer Laufleistung von 0 km übergeben. Der deutsche Händler hatte das Fahrzeug zuvor von einem Händler in einem anderen EU-Mitgliedstaat erhalten, der es von der Beklagten erworben hatte.

Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs und des darin verbauten Dieselmotors der Baureihe EA 189. Der Motor war mit einer Software ausgestattet, die hinsichtlich der Abgasrückführung zwischen Prüfstand und gewöhnlichem Fahrbetrieb unterschied, sodass die Emissionsgrenzwerte für Stickoxide nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) beanstandete die Software im Jahr 2015. Die Beklagte entwickelte ein Software-Update, das vom KBA zugelassen wurde. Die Beklagte informierte den Kläger im Februar 2016 über die Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal. Im November 2016 ließ der Kläger das Software-Update aufspielen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Mit der am 30. November 2020 erhobenen Klage hat der Kläger zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 30.000 € nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 5.725,37 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zu verurteilen und den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers, mit der er die Höhe der anzurechnenden Nutzungsentschädigung etwas reduziert und hilfsweise beantragt hat, die Beklagte zur Zahlung von 7.500 € ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt zu verurteilen, hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels gemäß dem Hilfsantrag ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt verurteilt, 2.250 € an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte sei dem Kläger dem Grunde nach gemäß §§ 826, 31 BGB zum Schadensersatz in Form der Rückgängigmachung des Kaufvertrags über das Fahrzeug verpflichtet. Dieser Anspruch sei jedoch, worauf sich die Beklagte berufen habe, verjährt, da der Kläger spätestens im Februar 2016 Kenntnis sowohl vom sogenannten Abgasskandal im Allgemeinen als auch von der Betroffenheit seines Fahrzeugs gehabt habe.

Die Beklagte habe allerdings gemäß § 852 Satz 1 BGB den auf Kosten des Klägers erlangten Kaufpreis herauszugeben, soweit er ihr nach Abzug der Herstellungskosten und der Händlermarge verblieben sei. Dass der Kläger das Fahrzeug nicht direkt von der Beklagten, sondern über einen Händler als reimportierten EU-Neuwagen erworben habe, schließe die Anwendung des § 852 Satz 1 BGB nicht aus. Auch wenn die Beklagte das Neufahrzeug zunächst in das EU-Ausland verkauft und den Kaufpreis unmittelbar von dem erwerbenden Händler erhalten habe, habe sie ihn doch bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht auf dessen Kosten, sondern auf Kosten des Klägers erlangt.

Die Beklagte habe in einer mit der Berufungserwiderung vorgelegten Anlage dargelegt, dass sie als Herstellerin jedes einzelne Kraftfahrzeug sowohl innerhalb als auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland an einen Vertragshändler übergebe, der es regelmäßig mit einer Händlermarge an den Endkunden verkaufe. Der Erwerb im Wege des EU-Reimports unterscheide sich nicht vom Erwerb in der Bundesrepublik Deutschland. Vielmehr werde das bestellte Fahrzeug, wenn es wie hier ohne Papiere und Zulassung übergeben werde, vom Händler lediglich durchgereicht, weshalb ein solcher Verkauf nicht außerhalb der Wertschöpfungskette der Beklagten liege.

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter. Der Kläger hat Anschlussrevision eingelegt, mit der er seine Berufungsanträge teilweise weiter geltend macht und beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 30.000 € nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von nunmehr 10.715,70 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen und den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen.

Vorinstanzen:

Landgericht Ravensburg - Urteil vom 13. April 2021 - 4 O 379/20

Oberlandesgericht Stuttgart - Urteil vom 18. November 2021 - 14 U 58/21

Die maßgeblichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs lauten:

§ 826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

§ 852 Herausgabeanspruch nach Eintritt der Verjährung

Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. […]

Karlsruhe, den 31. Mai 2022

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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