Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 88/2002

 

Strafausspruch des Urteils gegen Manfred Schmider im

"FlowTex"-Verfahren aufgehoben

Das Landgericht Mannheim hat den Angeklagten Manfred Schmider im "FlowTex-Verfahren" nach 28 Hauptverhandlungstagen unter anderem wegen Betruges und Bandenbetruges in mehr als 200 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Dieses Urteil hat der Angeklagte Schmider mit seiner auf den Strafausspruch beschränkten Revision angegriffen. Damit war der Schuldspruch rechtskräftig. Soweit das Rechtsmittel reichte, hatte es Erfolg. Über die weiteren noch anhängigen Revisionen der Mitangeklagten hat der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden

Mit seiner Revision rügte der Angeklagte unter anderem, die drei Berufsrichter der Strafkammer seien ihm gegenüber befangen gewesen. In einem vorläufigen schriftlichen Gutachten hatte der von der Staatsanwaltschaft bestellte Sachverständige das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für eine mögliche Anwendung des § 21 StGB nicht gänzlich auszuschließen vermocht. Der Gutachter hatte jedoch selbst Zweifel geäußert, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten soweit eingeschränkt gewesen sei, daß dies dessen Schuldfähigkeit hätte berühren können. Dies komme allenfalls für Betrugshandlungen in einem späten Stadium in Betracht. Vor diesem Hintergrund beschloß die Strafkammer, einen weiteren Gutachter zuzuziehen. Die Vorgänge im Zusammenhang mit der Anordnung und Durchführung der weiteren Begutachtung waren Gegenstand des am ersten Verhandlungstag eingereichten und vom Landgericht zurückgewiesenen Ablehnungsantrags.

Der Bundesgerichtshof hat die auf die Zurückweisung der Ablehnung gestützte Rüge für begründet angesehen. Nach seiner Auffassung konnte das gesamte Vorgehen der Kammer bei der Anordnung und Durchführung der weiteren Begutachtung aus Sicht des Angeklagten die Besorgnis begründen, die Berufsrichter seien ihm gegenüber befangen. Das Vorgehen der Kammer konnte den Eindruck erwecken, sie habe eine weitere Begutachtung zur Frage seiner Schuldfähigkeit nur mit dem Ziel angeordnet, das für ihn scheinbar günstige Ergebnis des ersten Gutachtens zu widerlegen. So sei die Bewertung des Erstgutachtens durch die Kammer, mit der die Einholung eines weiteren Gutachtens begründet worden sei, nicht vertretbar. Die Verteidigung sei vor der Bestellung des weiteren Gutachters nicht gehört worden. Zur Vorbereitung des Gutachtens sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden, obwohl der Angeklagte die Untersuchung verweigert habe und ihre zwangsweise Durchführung kein verwertbares Ergebnis erwarten ließ. Schließlich habe die Kammer sich dem von dem weiteren Gutachter vorgeschlagenen Untersuchungskonzept, das eine umfassende Beobachtung durch Personal und Mitgefangene in der Gemeinschaftszelle vorsah, nicht entgegengestellt, obwohl es nicht geeignet erschien, auf diesem Weg wissenschaftlich begründete Informationen zu gewinnen, die als Grundlage eines fachpsychiatrischen Gutachtens hätten dienen können. Vor allem verstieß die vorgesehene heimliche Beobachtung in so gravierender Weise gegen das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten, daß seinerzeit das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde die weitere Beobachtung durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung stoppen mußte.

Da das Ablehnungsgesuch des Angeklagten damit zu Unrecht verworfen worden war, lag der absolute Revisionsgrund aus § 338 Nr. 3 StPO vor. Der Bundesgerichtshof hob allein aus diesem Grund den Strafausspruch auf. Er hatte daher in der Sache nicht über die Frage der verminderten Schuldfähigkeit zu entscheiden. Die Strafkammer hatte dies nach den übereinstimmenden Gutachten beider Sachverständigen in der Hauptverhandlung verneint.

Den Feststellungen des Landgerichts zur Schuldfrage lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte Manfred Schmider war Mehrheitsgesellschafter beinahe aller an der FlowTex-Firmengruppe mit Sitz in Ettlingen beteiligten Gesellschaften, über die er zusammen mit den Mitangeklagten ein Schneeballsystem aufbaute. Das System beruhte auf in den Einzelheiten unterschiedlich konzipierten Finanzierungsmodellen, die jedoch darin übereinstimmten, daß Leasinggebern oder Banken vorgetäuscht wurde, die FlowTex erwerbe mit ihren Mitteln Horizontalbohrmaschinen. Diese Geräte, mit denen Kabel verlegt werden können, ohne daß die Erdoberfläche aufgegraben werden muß, würden bei wirtschaftlich und rechtlich selbständigen "Servicegesellschaften" zum Einsatz kommen, aus deren Mietzahlungen und Umsatzbeteiligungen die FlowTex stetig wachsende Umsatzerlöse in zwei bis dreistelliger Millionenhöhe erziele. Tatsächlich wurden mit neu eingeworbenen Mitteln Altleasingverpflichtungen erfüllt, wofür kurz vor Verhaftung des Angeklagten ca. 33 Mio Euro monatlich erforderlich waren, im übrigen verwendeten die Angeklagten die Gelder für sich. Zur Verschleierung setzten sie einige wenige Bohrsysteme tatsächlich auf Baustellen ein und spiegelten Geldgebern und Wirtschaftsprüfern durch gefälschte Belege und mit Hilfe von ca. 30 sog. "Vorzeigemaschinen" die Existenz von rund 3.300 angeblich erworbenen Bohrsystemen vor. Für diese "virtuellen Bohrsysteme" wurden eigens Typenschilder gefertigt, die bei Kontrollen an den "Vorzeigemaschinen" angebracht wurden. Auch der Umstand, daß der Geldfluß schwer nachvollziehbar war, weil der Angeklagte rechtlich selbständige, aber tatsächlich von ihm beherrschte "Servicegesellschaften" und weitere Firmen einschaltete, half die Täuschung aufrecht zu erhalten. Aus den Transaktionen flossen insgesamt etwa 141 Mio. Euro in das Privatvermögen des Angeklagten Schmider. Die übrigen Beteiligten erlangten zwischen 2 und 15 Mio Euro.

Beschluß vom 10. September 2002 - 1 StR 169/02

Karlsruhe, den 13. September 2002

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