Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle

 

 

Nr. 103/2002

Zur Inanspruchnahme von Kindern auf Zahlung

von Unterhalt für ihre Eltern

Der u.a. für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich mit der Frage zu befassen, in welchem Umfang Kinder zu Unterhaltsleistungen für ihre betagten Eltern herangezogen werden können. Der Senat hatte vor ca. zehn Jahren über eine ähnliche Fallgestaltung zu entscheiden, die allerdings in seiner Rechtsprechung ein Einzelfall blieb, weil der sogenannte Aszendentenunterhalt damals normalerweise nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens werden konnte. Seit der Erweiterung des Zuständigkeitskatalogs der Familiengerichte durch die Kindschaftsrechtsreform 1998 ist auch der Verwandtenunterhalt in aufsteigender Linie Familiensache und damit revisibel geworden. Die steigenden Heim- und Pflegekosten einerseits und die Finanznot der Sozialhilfeträger andererseits haben zu einem Anstieg von solchen Unterhaltsverfahren geführt. Dabei ist festzustellen, daß die Klagen in der Mehrzahl der beim Senat anhängigen Verfahren nicht von den Eltern gegen ihre Kinder, sondern von den Sozialhilfeträgern aufgrund übergegangener Unterhaltsansprüche erhoben worden sind, und zwar mitunter erst geraume Zeit nach den Sozialhilfeleistungen.

Das war auch in dem vorliegenden Rechtsstreit der Fall. Der klagende Landkreis hat den Beklagten auf Zahlung von Unterhalt für seine Eltern in Höhe von rund 83.000 DM in Anspruch genommen. Diese hatten ab 1990 in einem Altenheim gelebt. Bis Ende Januar 1995 reichten ihre Einkünfte und ihr Vermögen zur Bestreitung der Heimkosten aus, ab Februar 1995 bezogen sie ergänzende Sozialhilfe. Der Landkreis teilte dies dem Beklagten im März 1995 durch sogenannte Rechtswahrungsanzeige mit und forderte ihn zur Auskunftserteilung über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse auf. Dem Begehren kam der Beklagte im Mai 1995 nach. Etwa zwei Jahre später, im April 1997, ersuchte die Behörde erneut um Auskunft, die der Beklagte im Mai 1997 ordnungsgemäß erteilte. Im Juli 1997 gab der Landkreis ihm die Höhe des verlangten Unterhalts bekannt und leitete im November 1997 ein Mahnverfahren ein. Der ledige Beklagte verfügt über ein Renteneinkommen von ca. 3.800 DM sowie über Einkünfte aus einem Kapitalvermögen von ca. 300.000 DM und - zeitweise - aus der Vermietung einer Eigentumswohnung. Insgesamt lagen seine Einkünfte zwischen rund 5.100 DM und 4.700 DM monatlich.

Das Amtsgericht hat die Klage insgesamt wegen Verwirkung abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat demgegenüber eine Verwirkung verneint und der Klage überwiegend stattgegeben. Dabei hat es den dem Beklagten zu belassenden Selbstbehalt mit 2.200 DM monatlich bemessen und angenommen, er habe für die Heimkosten seiner Eltern rund 2.900 DM bzw. rund 2.500 DM monatlich zu zahlen. Den restlichen ungedeckten Bedarf von ca. 22.000 DM könne er aus seinem Vermögen aufbringen.

Die Revision des Beklagten führte zur Abweisung der Klage wegen eines (weiteren) Betrages von rund 16.000 DM und im übrigen zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht. Der XII. Zivilsenat hat im Gegensatz zum Oberlandesgericht entschieden, daß die Unterhaltsansprüche für den Vater insgesamt und für die Mutter teilweise verwirkt seien. Der Beklagte habe angesichts der seit der Rechtswahrungsanzeige von März 1995 an verstrichenen Zeit unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände darauf vertrauen können, daß er nicht mehr uneingeschränkt in Anspruch genommen werde. Außerdem sei der dem Unterhaltsverpflichteten gemäß § 1603 Abs. 1 BGB zu belassende angemessene Selbstbehalt nach der dem Einkommen, Vermögen und sozialen Rang entsprechenden Lebensstellung des Verpflichteten zu bemessen und umfasse dessen gesamten Lebensbedarf einschließlich einer angemessenen Altersversorgung. Eine spürbare und dauerhafte Senkung seines berufs- und einkommenstypischen Unterhaltsniveaus brauche der Unterhaltsverpflichtete jedenfalls insoweit nicht hinzunehmen, als er nicht einen nach den Verhältnissen unangemessenen Aufwand betreibe oder ein Leben im Luxus führe. Da das Berufungsgericht den Bedarf des Beklagten danach nicht rechtsfehlerfrei ermittelt hat, konnte die Entscheidung auch insoweit keinen Bestand haben, als die Unterhaltsansprüche nicht bereits verwirkt sind. Wegen des eventuell noch aus dem Vermögen aufzubringenden Unterhalts hat der XII. Zivilsenat die Auffassung des Berufungsgerichts indessen im Grundsatz gebilligt. Denn insoweit kann es sich allenfalls noch um einen relativ geringen Betrag handeln, so daß es dem Beklagten zugemutet werden kann, auf sein Kapitalvermögen zurückzugreifen.

Urteil vom 23. Oktober 2002 - XII ZR 266/99

Karlsruhe, den 24. Oktober 2002

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